Saskia Iten studierte Journalismus an der Schule für angewandte Linguistik in Zürich und arbeitete als Journalistin beim «Reussbote». Heute ist sie Mitgründerin eines Start-ups, das seit 2018 mit über 35 Künstlern schweizweit «Artnights» ...
Saskia Iten studierte Journalismus an der Schule für angewandte Linguistik in Zürich und arbeitete als Journalistin beim «Reussbote». Heute ist sie Mitgründerin eines Start-ups, das seit 2018 mit über 35 Künstlern schweizweit «Artnights» organisiert.
Bergidylle
Nach 54 Kilometern und 2000 Höhenmetern Fussmarsch über Steine, Flüsse und Wiesen scheinen die Jüngeren unter uns etwas älter, die Älteren etwas jünger. Während die Sonne hinter den Bergen verschwindet und den Himmel rosa verfärbt, werden in der SAC Hütte Hörnli, Suppe und Salat geschöpft. An diesem Tisch sind wir alle gleich. Hungrig und müde – am herrlichen Bergpanorama können wir uns kaum satt sehen. Wir duzen uns und plaudern, als wären wir altbekannte Freunde. Weit weg vom Alltag, uns erreichen weder E-Mails noch SMS. Google ist ratlos, antwortet nur mit «Keine Verbindung». Wir sind zur Einfachheit gezwungen und gleichwohl fasziniert von ihr: Das Geschäft landet im Plumpsklo, die Dusche weicht dem Waschbecken, Strom ist rar. Die Bergidylle scheint perfekt. Doch wie wäre es, wenn sich diese Einfachheit in unseren Alltag verschiebt?
Auf dem Berge sind Schlagzeilen zwar weit entfernt, doch sie haben sich im Hinterkopf eingebrannt. Sie marschieren mit, Schritt für Schritt. Umgeben von wilder Natur, den Kräften von Wind, Wasser und Sonne ausgesetzt, stets den schmelzenden Gletscher im Blickfeld: nach langen Wandertagen sind Klimawandel und Energieversorgung in den Hütten beliebte Gesprächsthemen. Der Schuh drückt an mehreren Stellen. Nicht etwa, weil sich die Socken rümpfen – sondern weil die Hitze gerade unsere Wasserreserven schmälert, Wälder niederbrennt und Ernten zerstört. Aber auch, weil der Krieg zwischen Russland und der Ukraine die inländische Energieversorgung bedroht: Schon diesen Winter könnten Gas und Strom knapp werden.
An diesem Tisch sind wir alle gleich. Wir schwelgen in der Vergangenheit, leben in der Gegenwart und spekulieren über die Zukunft. Inmitten dieser gewaltigen Bergwelt wird uns mal wieder bewusst, wie klein wir sind. Der Berg hat uns in den letzten Tagen Demut gelehrt – uns aber auch vor Augen geführt, wie wichtig jeder einzelne Schritt ist, um den Gipfel zu erklimmen. Egal wie beschwerlich uns der bevorstehende Weg vorkommt: Was zählt, ist die Entscheidung loszugehen und sich der Herausforderung zu stellen. Mancher Anstieg ist schwer. Doch mit guten Wandergefährten ist Leid nur halb so gross – Freude hingegen verdoppelt sich.
Mit unvergesslichen Eindrücken, spannenden Begegnungen und lehrreichen Gesprächen begebe ich mich auf den Heimweg, zurück in die Zivilisation. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Bevor sich Google wieder mit Schlagzeilen meldet, gebe ich mich mental nochmals dem Bergfrieden hin. Ganz nach dem Motto: «Lebenskünstler ist, wer den Sommer so erlebt, dass er noch im Winter wärmt.»