Saskia Iten studierte Journalismus an der Schule für angewandte Linguistik in Zürich und arbeitete als Journalistin beim «Reussbote». Heute ist sie bei einem Schweizer Medienunternehmen tätig. Kreativität ist für sie Beruf und Leidenschaft: In ihren ...
Saskia Iten studierte Journalismus an der Schule für angewandte Linguistik in Zürich und arbeitete als Journalistin beim «Reussbote». Heute ist sie bei einem Schweizer Medienunternehmen tätig. Kreativität ist für sie Beruf und Leidenschaft: In ihren Kolumnen hält sie Geschichten fest, die der Alltag schreibt.
Verlieren und gewinnen
Ich hatte meinen Hausschlüssel verloren. Als ich in meiner Tasche wühlte, war er einfach nicht mehr da. Dabei weiss doch jeder, dass man Schlüssel nicht verlieren sollte: Sie schützen wertvolle Dinge vor der Öffentlichkeit. Mein privates Eigentum war nicht mehr sicher, am allermeisten sorgte ich mich um meine Kopfhörer. Vielleicht denken Sie jetzt, die hätten nun wirklich keine Priorität. Aber stellen Sie sich mal einen Tag ohne Musik, ohne Podcasts und ohne Geräuschunterdrückung im Grossraumbüro vor. Für mich wäre das wie ein verlorener Tag. Aber was blieb mir in diesem Augenblick anderes übrig, als mich mit dem Verlust zu arrangieren.
Ich hatte mir verinnerlicht, dass Kopfhörer niemals lose in die Jackentasche gehören. Das war eigentlich nichts Neues. Aber vielleicht kennen Sie diese Momente auch: Sie wissen, dass Sie etwas nicht tun sollten und tun es trotzdem. Das Schlimmste daran war ja dieses Gefühl, dass ich daraus nichts gelernt hatte. Dabei heisst es doch so schön, dass der Mensch aus seinen Fehlern lerne. So erwartete mich wenige Tage später bereits die nächste Lektion: Es war ein sonniger Sonntagnachmittag auf einer Parkbank. Ich lauschte dem fröhlichen Vogelgezwitscher, beobachtete die Spaziergänger und fühlte mich an diesem malerischen Ort dermassen vollkommen, dass ich nicht bemerkte, wie mir mein Smartphone abhandenkam.
Ich habe in einer Woche drei Dinge verloren und drei Dinge gefunden. Als ich von der Arbeit heimkehrte, steckte der Hausschlüssel noch immer im Türschloss. Unangetastet. Wenige Tage später entdecke ich im Aufzug einen kleinen Notizzettel: «Kopfhörer gefunden. Sie sind im 3. Stock abholbereit.» Selbst mein Smartphone fand auf wundersame Weise zu mir zurück: Zwei Spaziergänger hatten es in einem nahegelegenen Restaurant deponiert. Zugegeben, drei Dinge in einer Woche zu verlieren, das ist ganz schön viel. Gerade weil Verluste – egal ob grosse oder kleine – äusserst unangenehm sind. Wie ein Geistesblitz durchfuhr mich der Gedanke, dass weniger Besitz zu weniger Verlust führen würde – und dass ich den Schlüssel zu meiner Haustür vielleicht öfters stecken lassen sollte. Das war erneut eine von diesen dummen Ideen. Ich wusste, dass ich das nicht tun sollte und tat es auch nicht. Denn gewinnen wäre nicht halb so schön, würden wir Verluste nicht kennen. Als ich Schlüssel, Kopfhörer und Smartphone wieder in meinen Händen hielt, da fühlte ich mich doppelt beschenkt. Nebst ihrem materiellen Wert symbolisierten sie für mich die kleinen Gesten der Menschlichkeit: Vertrauen, Hilfsbereitschaft und Ehrlichkeit.