In der Dorf-Metzg fliessen zurzeit einige Tränen
15.11.2024 BirmenstorfDie Dorf-Metzg zählt zu den Traditionsläden im Dorf. Regionale Spezialitäten bereichern das Sortiment – aber wie lange noch?
Die Tage der Dorf-Metzg in Birmenstorf scheinen gezählt. Inhaberin Christa Schmid wird im nächsten Mai pensioniert und eine ...
Die Dorf-Metzg zählt zu den Traditionsläden im Dorf. Regionale Spezialitäten bereichern das Sortiment – aber wie lange noch?
Die Tage der Dorf-Metzg in Birmenstorf scheinen gezählt. Inhaberin Christa Schmid wird im nächsten Mai pensioniert und eine Nachfolge für die Metzgerei ist nicht in Sicht.
Die Neuigkeiten, die Christa Schmid ihren Kundinnen und Kunden zurzeit mitteilen muss, sind keine erfreulichen: Sie wird im Mai die Dorf-Metzg schliessen müssen. Sie tue sich schwer, sagt sie. Und doch steht ihr Entschluss seit langem fest: «Ende Mai 2025 werde ich 64 Jahre alt, ich habe fast 50 Jahre lang in Metzgereien gearbeitet und möchte in Rente gehen.» Sie freue sich darauf, ihre Zeit neu auszufüllen nach vielen Jahren in einem erfüllten, reichen Arbeitsalltag. Zum Beispiel mit Velofahren oder Wandern. «An frei wählbaren Daten», betont sie. «Bei schönem Wetter und länger als einen Tag.» Schwer fällt ihr dieser Entscheid dennoch.
Denn anders als ursprünglich geplant, gibt es keine Nachfolgelösung. «Wenn meine Kundinnen und Kunden davon erfahren, fliessen auch mal Tränen», sagt Schmid. Geplant war, dass Roman Wettstein die Metzgerei übernehmen würde. Nach einem längeren, krankheitsbedingten Ausfall habe sich im Frühling 2024 aber abgezeichnet, dass die seit langem geplante Nachfolge so nicht umsetzbar sein wird.
«Ich liebe meinen Beruf»
Auch ihr werde schwer ums Herz, wenn sie an das Ende der Metzgerei denke. «Ich liebe meinen Beruf, sonst hätte ich ihn nicht so lange ausgeübt», sagt die gelernte Charcuterie-Verkäuferin, die ihre Lehre in Mutschellen machte. In Fislisbach in der Chämi Metzg lernte sie ihren späteren Mann Urs Schmid kennen, dessen Eltern Lydia und Franz seit 1964 in der Strählgass in Birmenstorf die Metzgerei mit Schlachtlokal führten. Christa und Urs Schmid heirateten im Mai 1987 und wagten gleichzeitig den Schritt in die Selbstständigkeit: Sie übernahmen die Metzgerei an der Strählgass, verkauften Fleisch aus der nächsten Umgebung und stellten Wurstspezialitäten nach eigenen Rezepten her. Etwa die «Waldmeisterwurst» im Frühling, die besonders scharfe «Waagwurst» oder auch die aussergewöhnlichen «Birmo- Stalaktiten», von denen gerade eine ganze Serie im Räucherschrank hängt. Im ehemaligen Schlachtlokal, beineln Walter Suter und Roman Wettstein gerade ein Rind aus, das von einem Mägenwiler Hof kommt. Sie schneiden Entrecôtes und Filets und legen andere Stücke, die zu Hackfleisch verarbeitet werden, in einen Behälter.
Christa Schmid beobachtet ihre Mitarbeiter: «Es gäbe hier eine Zukunft für eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger.» Auch weil sie auf eine treue Stammkundschaft zählen können, die das Regionale schätzt. Die Vielfalt im 3300-Seelen-Dorf mit Läden von der «Chäsi» über das «Gmüeslädeli», den Volg, die Weinbaugenossenschaft und den Blumengeschäften, bezeichnet sie als sehr «kostbar». – Eine Filiale der Bäckerei Lehmann wurde allerdings im März 2024 geschlossen.
Keine selbstverständliche Vielfalt
Der Historiker Patrick Zehnder, der in Birmenstorf zu Hause ist, spricht von einer «sehr interessanten Mischung» im Dorf. Aufgekommen sei diese Vielfalt an Geschäften im 19. Jahrhundert, weil die Menschen immer seltener Selbstversorger waren.
Sie kauften Brot, Fleisch und Milch in Dorfläden. Zwar gab es nur eine Milchgenossenschaft. Bäckereien oder Metzgereien existierten aber oft in mehrfacher Ausführung. Erste Supermärkte entstanden in den Städten um 1930, zeitlich verzögert kamen sie um 1960 in die Dörfer – die ältere Generation dürfte sich zudem an den Besuch des Migros-Wagens erinnern, der auf dem Land einmal wöchentlich ein (reduziertes) Sortiment anbot. Heute existierten verschiedene Einkaufsgewohnheiten nebeneinander, so Zehnder. Einerseits die Nahversorgung in den Dorfläden, andererseits der Wocheneinkauf bei grossen Detailhändlern.
«Dass wir für unsere Dorfgrösse mit einem erstklassigen Lebensmittelangebot gesegnet sind, war dem Gemeinderat immer bewusst», sagt auch Frau Gemeindeammann Marianne Stänz. Ein solches Angebot aufrecht zu erhalten sei jedoch schwierig, besonders wenn sich Pensionierungen abzeichneten. Stänz äussert sich dankbar für das immense Engagement von Christa Schmid und ihrem Team. Sie hätten sehr viel von ihrer Freizeit für die Lebensqualität im Dorf investiert. «Noch hoffen wir mit der ganzen Gemeinde, dass sich eine Nachfolgelösung für unsere Top-Metzgerei finden lässt.»
Gesucht: Nachfolgelösung
Für die zweifache Mutter Christa Schmid war es nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2010 selbstverständlich, dass sie die Metzgerei alleine weiterführen wird. Ihr war wichtig, die «kostbare» Ladenvielfalt im Dorf zu erhalten. 14 Jahre lang wurde sie von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie auch von den Lehrlingen unterstützt: «Mit Tatkraft und Ideen». Vor zehn Jahren hätte sie den Entscheid, die Metzgerei zu schliessen, wohl kaum treffen können. «Jetzt aber muss ich egoistisch handeln.» Darin bestärkt hätten sie auch ihre Geschwister und ihre Kinder.
Dennoch bleibt ihr grösster Wunsch, eine Nachfolge zu finden, um den Fortbestand der kleinen, feinen und gut eingerichteten Dorf-Metzg zu sichern. Junge Leute, vielleicht eine Familie. «Jemanden, der in dieser Arbeit nicht nur Beruf sondern Berufung sieht.» So, wie es für sie gewesen sei, als sie damals nach Birmenstorf kam. «Deshalb», sagt sie, «wurde mir und meinem Mann die Arbeit auch nie zuviel.»
Heidi Hess