Jedes Jahr im Mai richtet sich der Blick Europas – und darüber hinaus – auf eine Bühne, die mehr verspricht als bloss schrille Kostüme und eingängige Popsongs. Der Eurovision Song Contest (ESC) ist ein kulturelles Grossereignis, das für wenige Stunden die ...
Jedes Jahr im Mai richtet sich der Blick Europas – und darüber hinaus – auf eine Bühne, die mehr verspricht als bloss schrille Kostüme und eingängige Popsongs. Der Eurovision Song Contest (ESC) ist ein kulturelles Grossereignis, das für wenige Stunden die politische Landkarte Europas in eine musikalische verwandelt. Doch in den letzten Jahren droht das, was den ESC so besonders macht, hinter politischen Kontroversen zu verschwinden. Es ist höchste Zeit, sich daran zu erinnern: Der ESC ist kein politisches Schlachtfeld, sondern eine Bühne der Verständigung, der Vielfalt – und vor allem: der Musik.
Die Idee des ESC wurde aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs geboren. Er war Teil eines grösseren europäischen Projekts, das sich Integration und Zusammenarbeit auf die Fahne schrieb. Ein musikalisches Symbol für ein vereintes Europa, das in seiner kulturellen Verschiedenheit Gemeinsamkeit findet. Das ursprüngliche Ziel: Länder durch die verbindende Kraft der Musik einander näherzubringen, Vorurteile abzubauen und ein friedliches Miteinander zu fördern. Heute scheint dieses Ideal oftmals in den Hintergrund zu rücken. Viel zu oft dominieren politische Schlagzeilen die Berichterstattung rund um den ESC. Doch das ist ein Missbrauch der Bühne. Wenn der ESC zu einem Forum geopolitischer Auseinandersetzungen verkommt, wird er seines eigentlichen Wertes beraubt. Dabei bietet kaum ein Format eine bessere Gelegenheit, die kulturelle Diversität Europas zu feiern. Der ESC ist ein Schaufenster für musikalische Traditionen, Sprachen und Ausdrucksformen. Hier treffen griechische Laute auf finnischen Metal, orientalische Rhythmen auf nordische Pop-Balladen.
Aus politischer Sicht ist genau das der Kern einer funktionierenden europäischen Idee: dass Unterschiedlichkeit nicht trennt, sondern bereichert. In Zeiten, in denen Populismus, Abgrenzung und Nationalismus wieder dominanter werden, braucht es Räume, die das Gegenteil verkörpern – und der ESC könnte genauso ein Raum sein. Aber nur, wenn wir ihm das lassen.
Politik muss hier Verantwortung übernehmen – nicht, indem sie Einfluss nimmt, sondern indem sie sich zurücknimmt. Indem sie diesen kulturellen Raum schützt, statt ihn zu instrumentalisieren. Denn der ESC ist nicht bloß ein Wettbewerb. Er ist ein Statement: Für Offenheit, für Vielfalt, für ein Europa, das gemeinsam feiert, was es ausmacht – seine Unterschiede.