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10.01.2025 BirmenstorfVom Interniertenlager in Gebenstorf und wie Birmenstorferinnen die Polen unterstützten
Die junge Rosa Pabst erhält vom polnischen Küchenchef des Interniertenlagers ein Fotoalbum. Die Fotos zeugen vom Alltag der Polen und von ihren Begegnungen im Dorf.
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Vom Interniertenlager in Gebenstorf und wie Birmenstorferinnen die Polen unterstützten
Die junge Rosa Pabst erhält vom polnischen Küchenchef des Interniertenlagers ein Fotoalbum. Die Fotos zeugen vom Alltag der Polen und von ihren Begegnungen im Dorf.
ls während des Zweiten Weltkrieges 250 polnische Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere in Gebenstorf untergebracht waren – von Herbst 1940 bis Sommer 1943, danach bis Kriegsende in Neuenhof – wirkte sich das auch auf das Nachbardorf Birmenstorf aus. Birmenstorferinnen stopften nicht nur die Socken der Männer aus dem Interniertenlager, sie flickten auch deren Wäsche. Die Zentrale dieses Dienstes war bei Lina Zehnder (1899 – 1987) eingerichtet. Die Birmenstorfer Unterschullehrerin koordinierte die Arbeiten zwischen dem Lager und den Helferinnen.
«Man war sich sympathisch»
Unter dem Titel «Ein nur zu gutes Verhältnis zur Zivilbevölkerung» verfasste der Birmenstorfer Historiker Patrick Zehnder für die Brugger Neujahrsblätter 2025 einen Beitrag über dieses Interniertenlager. Zehnder erzählt darin die Geschichte des Lagers anhand eines Fotoalbums von Rosa Pabst (1919 – 2013). Dieses Album, das sich heute im Besitz der Einwohnergemeinde Gebenstorf befindet, war ein Geschenk von Leon Katowiz, polnischer Küchenchef im Interniertenlager, an die junge Gebenstorferin. «Man war sich sympathisch, mehr nicht», umschreibt Historiker Zehnder die Beziehung der jungen Leute. Davon zeugt auch Katowiz Widmung «Meiner lieber kleiner Schwesterlein», die sich auf der Rückseite eines Fotos im Album befindet. Aus heutiger Sicht interessieren die 134 Fotos im Album, weil sie Leben, Arbeit und Freizeit im Gebenstorfer Interniertenlager, das sich im Oberdorf im Gebiet Brunnacher zwischen Hölibach und Waldrand befand, anschaulich dokumentieren.
Wie sie nach Gebenstorf kamen
Die 250 in Gebenstorf Internierten gehörten zur 8. Kompanie des 3. Bataillons der Zweiten Polnischen Schützendivision. Sie retteten sich mit 12 000 Landsleuten nach verlustreichen Kämpfen in Goumois am Doubs über die Schweizer Grenze und gelangten über Porrentruy schliesslich im Herbst 1940 nach Gebenstorf. In der Schweiz geniessen sie den kriegsvölkerrechtlichen Status der Internierung. Der Historiker hält fest, dass die polnischen Männer im Mai 1945 nach der Kapitulation des Deutschen Reichs im Extrazug abgeholt und in Städte ins befreite Frankreich gebracht worden seien. Kaum einer sei in die polnische Heimat zurückgekehrt, auch aus ideologischen Gründen.
Zwar gab es im Gebenstorfer Interniertenlager einen polnischen Kompaniekommandanten. Der eigentliche Lagerkommandant aber war ein Schweizer Offizier, der von einem kleinen Wachtdetachement Schweizer Armeeangehöriger unterstützt wurde. Schon früh halfen die polnischen Soldaten bei der Ernte, dennoch gab es wenig Arbeit für die jungen Männer, rasch wurden sie deshalb «des Faulenzens» bezichtigt. Im Frühling 1941 verhängten die Behörden aus diesem Grund ein Arbeitsobligatorium. Die Internierten wurden beauftragt, Strassen, Waldwege und militärische Stellungen zu bauen und kamen auch bei Meliorationsarbeiten zum Einsatz.
«Befehl Orange» regelt den Alltag
Nicht nur der Untätigkeit wollte man einen Riegel schieben, die Behörden waren auch bestrebt, den Kontakt mit der Zivilbevölkerung auf ein Minimum zu beschränken. In einem sogenannten «Befehl Orange über die Beziehungen der Zivilbevölkerung zu den Internierten» wurden deshalb unter anderem Liebschaften und besonders Heiratsabsichten verboten. Dennoch hätten mehrere Gebenstorferinnen polnische Internierte geheiratet, wie Rosa Pabsts Neffe Christian Pabst dem Historiker Zehnder erzählte. Und auch sonst kam es trotz «Befehl Orange» zu Begegnungen, durchaus freundschaftlicher Art: So unternahm etwa Küchenchef Leon Katowiz mit Bernhard Pabst eine Bergtour auf den Titlis, in Begleitung eines Engelberger Bergführers. Mit dem Velo fuhren sie von Gebenstorf nach Engelberg.
«Befehl Orange» galt auch in Birmenstorf. Weil die Birmenstorferinnen aber, wie eingangs erwähnt, Wäsche flickten, koordiniert durch Lina Zehnder, hatte die Birmenstorfer Lehrerin ebenfalls direkten Kontakt mit den polnischen Internierten. Und das dürfte letztlich wohl zum besonderen Bild geführt haben, bei welchem Lina Zehnder neben einem jungen Mann mit Vornamen Stanislas für den Fotografen posierte. Dieser Stanislas soll, so Patrick Zehnder, übrigens in der Region geblieben sein und hier eine Familie gegründet haben.
Heidi Hess
Zehnder, Patrick, «Ein nur zu gutes Verhältnis zur Zivilbevölkerung». In: Brugger Neujahrsblätter 2025.